Zwischen Event-Hopping und breiter Widerstandsfront

Von Peter Nowak · · 2003/07

Wohin geht die Antiglobalisierungs-Bewegung in Zeiten des Kriegsgeschreis und der Terrorismushysterie? Versuch einer Analyse der Bewegung von Seattle bis heute von Peter Nowak.

Es gibt sie also noch – die globalisierungskritische Bewegung. Zigtausende hatten sich Ende Mai und Anfang Juni rund um den Genfer See versammelt, um gegen den G8-Gipfel im französischen Städtchen Evian zu protestieren.
Höhepunkt des mehrtägigen Widerstands war der 1. Juni, als weit über hunderttausend Menschen in zwei großen Demonstrationszügen vom französischen Grenzort Annemasse und von Genf aus starteten, um sich hinter der ausnahmsweise einmal verwaisten Grenze zu treffen. Der Jubel war groß, hatte man doch eben noch Parolen gegen die „Festung Europa“ und das Grenzregime skandiert. Doch trotz des momentanen Gefühls der Stärke war allen Beteiligten klar, dass die Grenzkontrollen zwischen Annemasse und Genf nur während der Protesttage verschwunden waren.
Langfristige Veränderungen sind eben nicht durch eine noch so machtvolle Demonstration gegen einen G8-Gipfel oder anderer Treffen der Mächtigen der Welt zu erreichen. Diese Erfahrung musste die noch relativ junge globalisierungskritische Bewegung in den letzten Jahren immer wieder machen.

Die erste Phase begann mit den Protesten in Seattle im November 1999 und endete im Sommer 2001 in Genua. Der Tod des Aktivisten Carlo Giuliani und die Misshandlung zahlreicher DemonstrantInnen durch die italienische Polizei wirkten wie eine Zäsur. Die Bewegung, die sich vorher an immer höheren Mobilisierungszahlen berauscht und deren junge AktivistInnen davon geträumt hatten, die Herrschafts-Events zu ver- oder zumindestens zu behindern, war an eine Grenze gestoßen. Seit Genua bestand weitgehend Konsens, dass ein Angriff auf den Gipfel und seine Infrastruktur, wie er in Italien versucht wurde, Gesundheit und sogar das Leben der AktivistInnen gefährdet.
Während noch über neue Widerstandskonzepte debattiert wurde, schienen die Anschläge vom 11.September 2001 in den USA die junge Antiglobalisierungs-Bewegung endgültig zur Fußnote in der Geschichte zu machen. So war es jedenfalls in vielen der Medien zu lesen, die noch Monate zuvor im Sommer 2001 eine neue außerparlamentarische Bewegung Im Entstehen sahen. Auch viele Bewegungs-AktivistInnen befürchteten, dass ihre Themen angesichts von Kriegsgeschrei und Terrorismushysterie nicht mehr gehört werden würden.

Für die ersten Monate nach dem 11.September hat das sicher gestimmt. Doch die Bewegung erwies sich als flexibler als von ihren GegnerInnen erhofft und vielen ihrer AnhängerInnen befürchtet. In vielen Ländern war sie es, die sich mit an die Spitze der Bewegung gegen die Kriegspolitik der US-Administration stellte. Damit konnte sie ihrer Isolation entkommen und neue Bündnispartner, vor allem aus dem gewerkschaftlichen und kirchlichen Spektrum gewinnen. Nicht überall werden die neuen Bündnispartner allerdings positiv gesehen. So prognostizierten Kritiker Ende Mai in München auf einem Kongress, der sich mit dem Zustand der Antiglobalisierungs-Bewegung befasste, dass sie außer einigen kleineren Reformen und ein Paar Ministersesseln für ihre Sprecher nichts erreichen werde.

Angesichts der Entwicklung vieler sozialer Bewegungen in den letzten drei Jahrzehnten sind die Befürchtungen nicht unbegründet. Es muss den Globalisierungs-KritikerInnen gelingen, ihre politischen Positionen auch ohne ein G8-Event der Öffentlichkeit zu vermitteln. Der Beweis steht noch aus. Schon seit längerem wird über die Gründung eines Europäischen Sozialforums debattiert. Trotz eines allgemein als Erfolg eingeschätzten ersten Treffens in Florenz stehen die Bemühungen vor allem im deutschsprachigen Raum noch immer am Anfang. Dabei könnten die Foren den Widerstand gegen den Sozialabbau vernetzen, der in vielen Ländern, beispielsweise in Frankreich und Österreich, in den letzten Wochen beachtliche Ausmaße angenommen hat.
Im kommenden November tagt das Europäische Sozialforum zum zweiten Mal, diesmal in Paris. Danach kann man vielleicht die Frage besser beantworten, ob die globalisierungskritische Bewegung auch jenseits von Event-Hopping eine Zukunft hat. Dass sie auf jeden Fall in der Lage ist, gegen die Gipfel zu mobilisieren, hat sie in Evian eindrucksvoll bewiesen.

Der Autor lebt als freier Journalist in Berlin und ist spezialisiert auf Fragen der internationalen Solidarität und der sozialen Bewegungen.

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